Selbstversuch: Unterwegs im Township

Ich bin nun seit drei Tagen in Südafrika und seit meiner Abreise aus Deutschland beschäftige ich mich mit der Frage, ob ich an einer geführten Township-Tour teilnehmen möchte. Auf der Fahrt vom Flughafen ins Zentrum Kapstadts begleitet mich der Anblick der aneinandergereihten Wellblechhütten. Jeden Abend sehe ich die langen Schlangen an Dienstpersonal, die auf ihren jeweiligen Buszubringer in die Townships warten. Wo mag die nette Servicekraft wohl wohnen, die mich jeden Morgen bestens gelaunt mit Cappuccino versorgt, oder der freundliche Rezeptionist, der mir in den letzten Tagen manch Insidertipp zugeschustert hat? Ich habe drei Tage Südafrikas reiche und schillernde Seite kennengelernt – es wird Zeit, dem authentischen Kapstadt näherzukommen. Und wo ist eine Stadt authentischer, als in den Wohnvierteln ihrer Bevölkerung?

Andererseits habe ich auch Skrupel

Häufig schon stand der sogenannte „Townshiptourismus“ in der Kritik – und dies, bei dem einen oder anderen Veranstalter am Markt, völlig zu Recht. Als Geographin kenne ich die negativen Auswirkungen, die solch eine Tourismusform für die Bevölkerung vor Ort teilweise mit sich bringen kann. Und was befähigt mich im Übrigen dazu, ausgerüstet mit Handy und Kamera, in den privaten Lebensraum von mir fremden Menschen einzudringen und sie, in ihrer vermeintlichen Armut, zu fotografieren? Wem werde ich diese Bilder später einmal zeigen und welche Worte werde ich bei den Schilderungen wählen? Stelle ich diese Menschen nicht automatisch eine Stufe unter mich, schenke ihnen mein falsches Mitleid, das ihnen leider in ihrer jeweiligen Situation so gar nicht hilft… Ich ringe mit mir, wäge alle Gedanken ab und entschließe mich schließlich für eine Tour und zwar mit dem lokalen Veranstalter Imzu Tours. Dreieinhalb Stunden werde ich laut des Flyers im ältesten schwarzen Township Kapstadts namens Langa verbringen. Der Preis von 495 Rand (= 30 Euro) wird später zum Teil den dortigen Familien zu Gute kommen.

Gemeinsam mit Guide Jama gehe ich auf Erkundungstour

Gemeinsam mit Guide Jama gehe ich auf Erkundungstour

Das Township ist heute die Heimat von über 60.000 Menschen

Mein Guide heißt Jama und er holt mich mit seinem Auto direkt an der Touristinformation an der V&A Waterfront ab. Er selbst ist in Langa geboren und aufgewachsen und hat vor einigen Jahren die Firma Imzu Tours mitgegründet. Auf der Fahrt in Richtung Stadtrand gibt er mir eine kurze geschichtliche Einführung: Langa wurde im Jahr 1923 gegründet. Die Gründung hatte zu der Zeit noch wenig mit Rassentrennung zu tun: im Hafengebiet war die Pest ausgebrochen und die Hafenarbeiter sollten, zum Schutz der restlichen Bevölkerung, an den Stadtrand ziehen. Im Jahr 1948 begann das Apartheid-Regime mit der Idee der räumlichen Trennung nach Hautfarbe, die sich auch im sogenannten „Group Areas Act“ wiederfindet. Die reizvollen Regionen nahe der Berge, des Ozeans und des Stadtzentrums wurden der weißen Minderheit zugeteilt. Die schwarze Mehrheit wurde an den Rand der Stadt in die dort entstehenden Townships umgesiedelt. Heute leben allein in Langa über 60.000 Menschen (natürlich ist die Zahl nur eine Schätzung, genaue Statistiken gibt es nicht).

Oh nein, bitte keine Kaffeefahrt!

Unsere Tour startet im offiziellen Visitor Centre von Langa.  Richtig gelesen, es gibt vor Ort ein Visitor Centre für Gäste und Reisende, in dem man sich über das Township informieren kann. Leider ähneln die ersten Minuten einer Verkaufsveranstaltung – einige Jugendliche stellen Trinkgefäße aus Keramik her und ich werde aufgefordert, mir doch so ein nettes Andenken mit nach Hause zu nehmen. Oh je, ich hoffe, dass ich in den nächsten drei Stunden nicht von einem Verkaufsstand zum nächsten gelotst werde. Raus aus dem Visitor Centre, rein in Jamas Leben. Ich erfahre seine Geschichte, wie es nach diversen Schulabbrüchen und gescheiterten Unternehmensversuchen schließlich zur heutigen Firma Imzu Tours kam. Auch weiht er mich in die Geheimnisse seiner Sprache Xhosa ein. Habt ihr Lust auf ein paar Grundlagen?

Was mache ich hier?!?

Wir laufen weiter durch das Township. Hier sind die Straßen geteert und breit, das eine oder andere dicke Auto rollt an uns vorbei. Eigentlich alles ganz normal, nur eben in Afrika. Doch zwei Abbiegungen später sieht die Umgebung dann schon ganz anders aus. Hier stehen die Hütten, die ich von der Autobahn aus gesehen habe. Ich werde in eine der quadratischen Wellblechbehausungen gebeten: Ein Schritt ist es bis zum Kühlschrank, links verstellt ein Doppelbett den restlichen Raum. In der Funzel erkennen meine Augen erst mit der Zeit die Menschen, die mich erwartungsvoll anblicken. Die Hütte ist das Zuhause einer alleinerziehenden Mutter und ihrer vier Kinder. Für eine Toilette oder eine Waschgelegenheit gibt es auf dem engen Raum keinen Platz. Ein Säugling liegt träge im Arm der Mutter – als es mich verschlafen anlächelt, bekommt es eine Münze sein kleines Händchen gesteckt. Meinem Gemütszustand ist die anfängliche Hoffnung gewichen. Was mache ich hier eigentlich?

Township Langa

Irgendwann verlassen wir die geteerten Straßen

Willkommen im Pub von Langa!

Bevor ich mir noch weitere Gedanken machen kann, stolpere ich Jama hinterher, zurück in den langen Korridor aus Straßen, unbefestigten Wegen und engen Gassen. Der leicht muffig-süßliche Geruch fällt mir zunächst kaum auf, ein paar Schritte weiter stehe ich vor zwei riesigen Fässern Maische, die in der Sonne vor sich hin gären. Willkommen im Pub von Langa! In der Bar- und Brauereihütte lerne ich erstmal den Stammtisch kennen – eine Runde von schon leicht angeheiterten Männern, die alle um einen großen Blecheimer herumsitzen. Der Eimer ist randvoll gefüllt, dicker weißer Schaum schwimmt auf der Oberfläche des Gebräus, das hier direkt aus dem Eimer getrunken wird (zum Trinken muss man den Schaum etwas wegpusten).

Zum Drinken pustet man den weißen dicken Schaum vorsichtig beiseite

Weiter geht es ins Herz des Townships: wir passieren einen kleinen Predigtraum (hier kann ein Gottesdienst gute vier bis fünf Stunden dauern), bekommen eine lautstarke Tanz- und Gesangseinlage geboten und lassen die alte Bierhalle hinter uns, die heute als Unterkunft für geschätzt 20 Familien dient. Ein Friseursalon, Shops, bunt behängte Wäscheleinen, die kreuz und quer gespannt sind. Ein Meer aus glitzernden Glasscherben auf dem Boden. Überall Kinder, die herumtoben, spielen, lachen und schreien. Ich komme auch am Busbahnhof vorbei – dem Ort, an dem vermutlich viele Personen allabendlich von ihrer Arbeit aus dem Zentrum Kapstadts zurückkehren. Die noch lebendigen Hühner stehen dichtgedrängt in ihren Käfigen auf dem nahe gelegenen Markt beieinander, einige Jugendliche lungern mit Bierflaschen am Straßenrand. Jama versucht sie zu ignorieren – 49 Prozent der Bewohner Langas sind arbeitslos.

Zu Gast bei Morgan Freeman

Und dann treffe ich Shooter. Auf den ersten Blick erinnert mich der Mann in seinen 60ern an den US-Schauspieler Morgan Freeman. Von der ersten Sekunde nimmt mich sein herzliches Lächeln ein. Vor einigen Jahren verstarb seine Frau, nun lebt er alleine in einer recht geräumigen Hütte, wo er mit wenigen Mitteln versucht, irgendwie das Beste aus der Situation zu machen. Auch die vor ihm brennende Lampe ist Marke Eigenbau – als der Mixer nicht mehr funktionierte, wurde er schlichtweg zu einer Lampe umgebaut.

Shooter

Shooter und sein umfunktionierter Mixer Marke Eigenbau

Shooter erzählt mir seine Lebensgeschichte, welche Einflüsse das Apartheid Regime auf seinen persönlichen Werdegang hatte. „Damals musste man damit rechnen von jetzt auf nachher umgesiedelt zu werden“, erzählt er mir in bestem Englisch. Seit langem steht er auf der Liste für die neuen Sozialwohnungen, die im Rahmen der WM in den letzten Jahren errichtet wurden. Früher fuhr Shooter Blutkonserven durch die Gegend, heute bessert er sich sein Geld mit dem Sammeln von Plastikflaschen auf. Seine Tochter ist im Teenageralter und spielt mit dem Gedanken Anwältin zu werden. „Sie soll es jedenfalls einmal besser haben als ich“ gibt er mir beim Abschied mit auf den Weg.

Der Morgan Freeman von Langa. Ich hoffe, Shooter erhält bald die Chance in eines der neuen Häuser zu ziehen.

Mein aktueller Gefühlszustand: zutiefst bewegt. Ich bin froh, dass ich nicht in einer großen Gruppe unterwegs bin – sonst wäre vermutlich das Gespräch in dieser Art nie zustande gekommen.

Ein wenig Kulinarik zum Schluss…

Mein nächster und letzter Stopp ist rußgeschwärzt. Ein riesiges Areal erstreckt sich vor mir, überall lodern Feuer, der Rauch beißt in den Augen und ich unterdrücke einen Hustenreiz. Dazu kommt die sengende Sonne, die die Temperaturen hier noch ein paar weitere Grade hochjagt. Wo um Himmels Willen bin ich hier gelandet? Patricia, 40 Jahre alt, steht täglich von 10 Uhr vormittags bis 23 Uhr in der Nacht in dieser unwirklichen Szenerie, ausgerüstet mit weißem Sunblocker und einem abgetragenen Schlapphut.

Patricia bei ihrer täglichen Arbeit: von morgens bis abends steht die junge Frau in der sengenden Hitze und bereitet Schafsköpfe zu.

Patricia grillt Schafsköpfe. Die sogenannten Smileys, durch das Feuer zieht sich das Gesicht des Schafes zu einem Lächeln zusammen, sind in Langa ein gern gesehenes Essen: es macht satt und ist verhältnismäßig günstig. Jeden Morgen bekommt Patricia vom Schlachter 15 Schafsköpfe, die sie ausgiebig reinigt, auskocht und später am Feuer grillt. Die junge Frau, die durch diesen kräftezehrenden Job um einiges älter aussieht, erzählt auf meine Fragen hin von ihrer Familie. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern, beide um die 20. Von Männern hält Patricia recht wenig, „die reinste Zeitverschwendung“. „Ich hatte nie die Chance etwas anderes zu machen. Ich habe den Job damals von meiner Mutter übernommen, war nie in der Schule, hatte nicht die Möglichkeit einen richtigen Beruf zu lernen. Meine beiden Mädchen gehen noch zur Schule, sie sollen es mal besser haben.“

Patricia, Shooter, all die Menschen die mir in den letzten Stunden begegnet sind – sie und ihre Geschichten haben mich tief berührt. Ich bin dankbar, dass ich alleine mit Jama unterwegs war und so auch die Möglichkeit hatte mich persönlich mit den einzelnen Personen zu unterhalten, auf ihre neugierigen Fragen zu antworten, ein wenig aus Deutschland zu erzählen. 450 Jahre Kolonialzeit liegen hinter Südafrika, 40 Jahre Apartheidsstaat. Es wird vermutlich noch lange dauern, bis man von einer wirklichen Gleichberechtigung sprechen kann.

Die Reise nach Südafrika beruht auf einer Kooperation mit Turkish Airlines.




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